Ein Landwirt, heißt es, hat in seinem Berufsleben vielleicht 30 Versuche, eine perfekte Ernte einzufahren. Dem gegenüber stehen zahlreiche Unwägbarkeiten: Regen oder Sonne lässt sich nicht herzaubern, Schädlingen fällt immer wieder etwas Neues ein, die Technik muss funktionieren, das Timing stimmen. Außerdem kommen auf dem Acker oder im Stall eine Vielzahl von Gewerken zusammen, und wenn es ernst wird, bleiben oft nur Stunden, um die Ernte eines Jahres heil vom Feld zu bekommen. Und wenn das gelingt, weiß man immer noch nicht, welche Preise der Markt anschließend hergibt.
Komplexität, verschiedene Beteiligte, Unmengen an Daten – kein Wunder, dass die Landwirtschaft zu den Vorreitern beim Einsatz digitaler Technik gehört. Autonomes Fahren, Big Data, soziale Netzwerke, Sensorik, Internet der Dinge: Auf dem Acker lässt sich das alles schon finden.
Im vergangenen Jahr nutzte der US-Food-Gigant Cargill die Blockchain-Technik, um für ein Drittel seiner zu Thanksgiving verkauften rund 600 000 Truthähne die Rückverfolgbarkeit bis zum Landwirt zu ermöglichen. Bereits Anfang 2018 hatte Louis Dreyfus, ein großer Agrarhändler, die erste Transaktion landwirtschaftlicher Waren mit dieser Technik durchgeführt, im Mai zog Cargill mit einer Handelsfinanzierung über Blockchain für Sojabohnen nach.
Laut einer Bitkom-Studie nutzt heute mehr als jeder zweite Landwirt digitale Technik. Roboter melken Kühe, Drohnen oder Satelliten erstellen Karten, Sensoren messen den Bodenzustand und den Nährstoffbedarf bei Pflanzen.
Schon im Jahr 2015 sorgen Sensortechnik, Elektronik und Software für 30 Prozent der Wertschöpfung in der Agrarwirtschaft aus. Nach Angaben des Vereins Deutscher Ingenieure lag die Quote damit dreimal so hoch wie in der Autobranche. Landwirte wissen heute über Sensoren oft genauso viel wie beispielsweise über Saatgut, vertrauen lieber Algorithmen als Bauernregeln, sind auch im Traktor jederzeit online und mit Kollegen in aller Welt vernetzt. Sie machen sich inzwischen nur noch ungern die Hände schmutzig, weil sie dann das Smartphone nicht mehr bedienen können, mit dem sie ihren Betrieb steuern.
Die digitalen Lösungen stammen zumeist von kleinen Unternehmen, die teilweise seit Jahrzehnten aktiv sind. Aber auch die großen Hersteller von Saatgut, Dünger oder Landmaschinen sowie die internationalen Händler konkurrieren mit eigenen Lösungen. Auch globale IT-Konzerne befassen sich mit der Landwirtschaft.
Fragt man diese Unternehmen nach ihren Erfahrungen, heißt es, Landwirte seien für digitale Anwendungen dann zu begeistern, wenn sich der Nutzen pro Hektar exakt beziffern lasse. Nicht wenige sehen in der Technik die Lösung für viele Probleme vorrangig in Entwicklungs- und Schwellenländern. Beim Global Forum for Food and Agriculture zu Jahresbeginn in Berlin war die Digitalisierung das Schwerpunktthema. Die rund 70 anwesenden Agrarminister waren sich einig: Hunger und Armut lassen sich mit smarten digitalen Lösungen besiegen. Allerdings prophezeite man das in der Vergangenheit schon oft – damals hießen die Wundermittel Kunstdünger oder Pestizide.
(Quelle: brandeins Wirtschaftsmagazin)